Gleis 7 e.V.

Gleis 7 e. V. Wir bringen Leben in die Arbeitswelt

  • Förderung der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter in MV und der Kooperation im Landesprogramm

Best Practice

Arbeitsmarktintegration Geflüchteter in MV (LAIG)

Wenn man sich an einem hellgrauen, schneearmen Februarmorgen 2024 mit dem Zug über Kovel, Korosten und Gostomel der ukrainischen Hauptstadt Kyiv nähert, sind die Spuren der Abwehrkämpfe des Frühjahrs 2022 noch unübersehbar. Auf dem Bahnsteig des Hauptbahnhofes empfangen Männer mit Blumen in den Händen Frauen und Kinder, die mit großen Koffern müde aus den blauen Schlafwagen ostdeutscher Produktion klettern. Man kann sich kaum hineinversetzen in die Ukrainerinnen, die aus ihrem neuen Zuhause in Schwerin, Stralsund oder Rostock in ihre Heimat kommen. In Ukrainerinnen, die Urlaub haben von Sprachkursen oder ihrer neuen Arbeit in Deutschland, die Ehemänner, Eltern, Enkelkinder besuchen werden, den vertrauten Klang der eigenen Sprache im Ohr – ob in der Metro, dem Supermarkt oder im Kino.

Seit Juli 2022 arbeitet ein vielfältiges Team im Landesprogramm zur Arbeitsmarktintegration Geflüchteter in MV (LAIG) schwerpunktmäßig an der ausbildungs- und erfahrungsadäquaten Einmündung ukrainischer Geflüchteter in unseren regionalen Arbeitsmarkt und unterstützt Geflüchtete von Zinnowitz bis Zarrentin und Röbel bis Rostock. 

Gut 20% der arbeitsfähigen Ukrainer:innen in Mecklenburg-Vorpommern sind berufstätig. Welche guten Beispiele gibt es? Wie schwierig war der Weg für die Svitlanas, Tetianas, Katerynas, Olenas und Irynas in den neuen Job und wie fühlt es sich an, in einem neuen Land, einer neuen Sprache und oft auch einem neuen Beruf zu arbeiten? Wie fühlt es sich an, täglich Sorgen um die Liebsten daheim zu haben, die Kinder in zwei Schulsystemen zu begleiten und selbst täglich zum Deutschkurs zu gehen? 

Für jede und jeden Einzelnen anders. Verallgemeinerungen und Umfrageergebnisse helfen in der täglichen Beratungsarbeit wenig. Und für die allermeisten Arbeitsplätze in der Region braucht man Deutschkenntnisse – mal rudimentär und mal praxistauglich; im Mündlichen wie im Schriftlichen; nicht zu sprechen von den sogenannten reglementieren Berufen, wo Sicherheit und Wohlergehen von Menschen davon abhängen, dass Kollegen sich verstehen. Auch das ein Spagat in der Beratungsarbeit: Der Wunsch vieler Ukrainier:innen „Lasst uns arbeiten“ und der Wunsch der Arbeitgeber nach Mitarbeiter:innen mit auskömmlichen Deutschkenntnissen. Dazwischen liegen Monate des Wartens auf Deutschkurse, Integrationskurse, die 6 bis 9 Monate dauern und deren Ergebnisse auf dem Papier einem Praxistest nicht standhalten, weil Deutsch unter schulischen Bedingungen eben nicht Deutsch in der Arbeitswelt bedeutet. Und wer gleich angefangen hat zu arbeiten, hat unter Umständen fast keine Deutschkenntnisse aufgebaut. Auch das gibt es. 

Bleiben wir beim Gelingenden: bei der Köchin, die im eigenen Beruf im Krankenhaus arbeitet, bei der Übersetzerin, die schon in der Ukraine in einem deutschen Unternehmen gearbeitet hat und fast nahtlos in den kaufmännischen Bereich eines Rostocker Unternehmens wechselte.  Wieviel Anpassungswillen und Unterstützung es braucht, zeigt auch das Beispiel einer Schneiderin, die gerade ein Praktikum in einem Rostocker Blumenladen absolvierte und nun in einem neuen Berufsfeld startet. Für ein gelungenes Praktikum ist es nicht nur notwendig, dass Praktikantin und damit potenzielle neue Kollegin und Arbeitgeber zusammenpassen, auch das Jobcenter muss an Bord sein und unter Umständen der Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit den Arbeitgeber in der Einarbeitungsphase fördern. Bestenfalls helfen Mitarbeitende ihrer neuen Kollegin nicht nur beim Erkunden und Einüben betrieblicher Abläufe, sondern auch bei der Festigung und dem täglichen Gebrauch der im Sprachkurs erworbenen Deutschkenntnisse. Rundum gibt es eine Unmenge praktischer Fragen: „Passt die Kinderbetreuung zu den Arbeitszeiten? Welche Steuerklasse ist anzuwenden? Welche Dinge beim Wechsel aus dem Bürgergeldbezug in die finanzielle Selbständigkeit zu beachten? Was wird in Deutschland im Arbeitsvertrag geregelt und worüber redet man mit seinen neuen Kolleginnen und worüber vielleicht auch nicht?“

Es gibt viele Menschen in unserer Region, die dazu beitragen, Geflüchteten ob aus der Ukraine oder anderen Ländern den Weg in unsere Arbeitswelt und unsere Gesellschaft zu ebenen und ihnen das Gefühl geben, gebraucht zu werden. Es sind Menschen in privaten, ehrenamtlichen und staatlichen Strukturen, die Heimat geben. DANKE dafür. 

Die Autorin, Dagmar Schulze, begleitet als Arbeits- und Fachkräftebeauftragte für die Ukraine das Landesprogramm für die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter in MV und war Anfang Februar 2024 in Kyiv.

INFO–BOX LAIG

Organisiert in sechs Projekten setzen 14 Trägerorganisationen mit 28 Mitarbeiter:innen das Landesprogramm zur Arbeitsmarktintegration Geflüchteter in MV um und konzentrieren sich auf die faire Integration von geflüchteten Ukrainer:innen in den Arbeitsmarkt in MV (80% der Programmteilnehmer:innen). Alle Regionen im Land abdeckend, beraten die Teams Geflüchtete und Unternehmen und kooperieren vielfältig mit bestehenden Strukturen der Migrationsarbeit in MV mit dem Ziel, Ukrainer:innen und andere Geflüchtete zu guten Bedingungen und entsprechend der individuellen Voraussetzungen in Arbeit und/oder Aus- und Weiterbildung zu vermitteln. 

Die Beratung Geflüchteter erfolgt aufsuchend und zielt auf Informationsvermittlung zum regionalen Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Unterstützung bei der Einmündung in Praktika, Aus- und Weiterbildung sowie Beschäftigung. Umgesetzt wird das Unterstützungsangebot durch Betriebsbesichtigungen, Bewerbungstrainings und die zielgerichtete Suche passender Arbeitsmarktangebote gemeinsam mit den Teilnehmer:innen.

Im Zuge aufsuchender Unternehmensberatung sensibilisieren die Kolleg:innen Unternehmen für die Beschäftigung Geflüchteter, schlagen geeignete Kandidat:innen für die Besetzung offener Stellen vor, begleiten den Recruiting – und Onboarding-Prozess und weisen ggf. auf weitere Unterstützungsmöglichkeiten für Unternehmen bei der Stellenbesetzung mit Geflüchteten hin.